Die Entschließung 1481 (2006)
Die Notwendigkeit der internationalen Verurteilung von Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime.
1. Die Parlamentarische Versammlung verweist auf ihre Entschließung 1096 (1996) betr. Maßnahmen zur Beseitigung des Erbes der früheren kommunistischen totalitären Systeme.
2. Die totalitären kommunistischen Regime, die im letzten Jahrhundert in Mittel- und Osteuropa herrschten und in mehreren Staaten der Welt noch immer an der Macht sind, waren ausnahmslos durch schwere Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet. Die Verletzungen unterschieden sich je nach Kultur, Land und geschichtlicher Epoche und umfassten Morde an und Hinrichtungen von einzelnen Personen und großen Menschengruppen, Tod in Konzentrationslagern, Verhungern, Deportationen, Folter, Sklavenarbeit und andere Formen physischen Massenterrors, Verfolgung auf der Grundlage von Volkszugehörigkeit oder Religion, Verletzung der Gewissens-, Gedanken- und Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit sowie auch fehlenden politischen Pluralismus.
3. Die Verbrechen wurden mit der Theorie des Klassenkampfes und dem Prinzip der Diktatur des Proletariats gerechtfertigt. Die Auslegung beider Prinzipien legitimierte die „Eliminierung“ von Menschen, die für den Aufbau einer neuen Gesellschaft als schädlich und insofern als Feinde der totalitären kommunistischen Regime betrachtet wurden. Eine große Zahl von Opfern in jedem betroffenen Land waren die eigenen Staatsbürger. Das galt insbesondere für Völker der ehemaligen UdSSR, die andere Völker in Bezug auf die Zahl der Opfer weit übertrafen.
4. Die Versammlung erkennt an, dass einige europäische kommunistische Parteien ungeachtet der Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime Beiträge zur Verwirklichung der Demokratie leisten.
5. Auf den Sturz der totalitären kommunistischen Regime in Mittel- und Osteuropa folgte nicht in allen Fällen eine internationale Untersuchung über die von ihnen begangenen Verbrechen. Darüber hinaus sind die Urheber dieser Verbrechen von der internationalen Gemeinschaft nicht, wie es nach den durch den Nationalsozialismus (Nazismus) begangenen schrecklichen Verbrechen der Fall war, vor Gericht gestellt worden.
6. Dementsprechend ist die öffentliche Wahrnehmung der von totalitären kommunistischen Regimen begangenen Verbrechen sehr gering. Kommunistische Parteien sind in einigen Ländern legal und aktiv, auch wenn sie sich in einigen Fällen nicht von den Verbrechen distanziert haben, die früher von totalitären kommunistischen Regimen begangen wurden.
7. Die Versammlung ist überzeugt, dass Geschichtsbewusstsein eine der Voraussetzungen für die künftige Vermeidung vergleichbarer Verbrechen darstellt. Außerdem spielen die moralische Bewertung und Verurteilung begangener Verbrechen bei der Aufklärung junger Menschen eine wichtige Rolle. Eine klare Position der internationalen Gemeinschaft zur Vergangenheit kann ihnen bei ihrem künftigen Handeln als Leitbild dienen.
8. Darüber hinaus ist die Versammlung überzeugt, dass die noch lebenden Opfer von Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime oder ihre Angehörigen für ihr Leiden Mitgefühl, Verständnis und Anerkennung verdienen.
9. In einigen Staaten der Welt bestehen noch immertotalitäre kommunistische Regime, und dort werden weiterhin Verbrechen begangen. Die Wahrnehmung der eigenen nationalen Interessen sollte die Staaten nicht von angemessener Kritik an den gegenwärtigen totalitären kommunistischen Regimen abhalten. Die Versammlung verurteilt alle diese Menschenrechts-verletzungen aufs Schärfste.
10. Die Diskussionen und Verurteilungen, die bisher in einigen Mitgliedstaaten des Europarats auf nationaler Ebene stattgefunden haben, entheben die internationale Gemein-schaft nicht der Verpflichtung, zu den Verbrechen der totalitären kommunistischen Regime klar Stellung zu beziehen. Sie ist moralisch dazu verpflichtet, unverzüglich so zu handeln.
11. Der Europarat ist für eine solche Diskussion auf internationaler Ebene das geeignete Forum. Alle früheren kommunistischen Staaten Europas mit Ausnahme Weißrusslands gehören ihm mittlerweile an, und der Schutz der Menschenrechte sowie die Rechtsstaatlichkeit sind Grundwerte, für die er eintritt.
12. Deshalb verurteilt die Parlamentarische Versammlung nachdrücklich die schweren Menschenrechtsverletzungen durch die totalitären kommunistischen Regime und bekundet den Opfern dieser Verbrechen Mitgefühl, Verständnis und Anerkennung.
13. Außerdem fordert sie alle kommunistischen oder postkommunistischen Parteien in ihren Mitgliedstaaten auf, die dies bisher noch nicht getan haben, die Geschichte des Kommunismus und ihre eigene Vergangenheit einer Neubewertung zu unterziehen, sich klar von den Verbrechen zu distanzieren, die von totalitären kommunistischen Regimen begangen wurden, und sie eindeutig zu verurteilen.
14. Die Versammlung ist der Auffassung, dass diese klare Stellungnahme der inter-nationalen Gemeinschaft den Weg zu einer weiteren Versöhnung ebnen wird. Darüber hinaus wird sie hoffentlich Historiker überall auf der Welt dazu bewegen, ihre Studien fortzusetzen, um zu ermitteln und objektiv zu überprüfen, was sich zugetragen hat.
Parlamentarische Versammlung des Europarates